suedkurier.de - 16.03.2006
Ein Tropfen auf die Flamme

Wie die Regierung im Wahlkampf weitgehend erfolglos gegen steigende Gaspreise vorgeht

Wie die Regierung im Wahlkampf weitgehend erfolglos gegen steigende Gaspreise vorgeht

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Am 1. November vergangenen Jahres hatte noch alles nach Revolution geklungen: Er wolle wissen, ob die Preiserhöhungen gerechtfertigt seien, hatte der baden-württembergische Wirtschaftsminister Ernst Pfister verkündet und alle 108 Gasversorger im Südwesten dazu verdonnert, ihre Preise an die Landeskartellbehörde zu melden. Eine genaue Prüfung wurde versprochen.

Pfister hatte allen Grund zum Mißtrauen. Schließlich gibt es zwischen dem teuersten und billigsten Anbieter in Baden-Württemberg 30 Prozent Preisunterschied. Außerdem haben sich die Gaspreise seit 1998 mehr als verdoppelt.

Wer aber geglaubt hatte, das Kartellamt, welches zum Wirtschaftsministerium gehört, würde rigoros durchgreifen, ist heute enttäuscht. Die Bilanz, ein knappes halbes Jahr später, ist ernüchternd: Nur gegen 6 der 108 Gasversorger waren Vorermittlungen eingeleitet worden, wovon gegen einen, die Stadtwerke Schramberg, das Verfahren schon im Januar eingestellt worden war. Der Versorger aus dem Schwarzwald hatte glaubhaft nachweisen können, seit Jahresanfang im Konkurrenzvergleich nur noch im preislichen Mittelfeld zu liegen. In vier Fällen wurden die Vorermittlungen in diesen Tagen beendet, nachdem die Gasversorger zusicherten, auf Preiserhöhungen im laufenden Jahr zu verzichten. "Die vier Versorger haben allesamt ein gutes Angebot im Sinne der Endkunden und mir die Entscheidung leicht gemacht, die entsprechenden Vorermittlungsverfahren einzustellen", zeigte sich Pfister zufrieden. Lediglich die Gaswerke Philippsburg geben sich kämpferisch und wollen Preiserhöhungen nur bis Ende Juni ausschließen. Deswegen, so heißt es in einer Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums, werde jetzt die Einleitung eines formellen kartellrechtlichen Verfahrens geprüft.

Christoph Beier glaubt, dass die Landtagswahl am 26. März der eigentliche Grund für Pfisters Vorgehen ist. Baier, Geschäftsführer der Stadtwerke Stockach, die zu jenen Versorgern zählen, die diese Woche eingelenkt hatten: "Als wir dem Wirtschaftsministerium unsere Bereitschaft zum Ermittlungsverfahren signalisierten, wollte es das gar nicht mehr." Spätestens da sei im klar geworden, dass man sich mitten im Wahlkampf befände, so Baier gegenüber dieser Zeitung.

Für die Stockacher Gaskunden zahlt sich der Einsatz des Ministeriums dennoch aus: Durch die nicht umgesetzte Gaspreiserhöhungen von 0,4 Cent pro Kilowattstunde spart eine Familie mit einem Jahresverbrauch von 35000 Kilowattstunden für die Zeit von April bis Dezember 85 Euro.

Doch die große Mehrheit der baden-württembergischen Gaskunden hat von solchen Einzelfallregelungen nichts. Der Bund der Energieverbraucher schätzt, dass die Gaspreise für Privathaushalte derzeit um 20 Prozent zu hoch sind. Der Grund: mangelnder Wettbewerb. "Die Missbrauchsaufsicht anhand von Endkundenpreisen ist immer nur eine Bekämpfung von Symptomen", sagt Ulf Böge, Präsident des Bundeskartellamtes. Sein Amt zur Belebung des Wettbewerbs hat drei Ursachen für den mangelnden Wettbewerb ausgemacht. Erstens: die hohe Marktkonzentration, die spätestens seit dem Zusammenschluss von Eon und Ruhrgas zu beobachten sei, eine Fusion, die gegen die Zustimmung des Bundeskartellamtes von der rot-grünen Bundesregierung genehmigt worden war. Zweitens hätten sich langfristige Gasbezugsverträge zwischen Gasimporteuren und Weiterverteilern als Instrument zur Abschottung der Märkte erwiesen. Und drittens seien die großen Gasunternehmen "vertikal integriert", also sowohl als Netzbetreiber als auch als Gashändler tätig. Böge: "Newcomer sind auf den Zugang zu diesen Netzen angewiesen, werden daran aber durch zu hohe Netznutzungsentgelte oder andere Hürden gehindert." Dies könnte ab Oktober der Vergangenheit angehören. Dann werden neue Regelungen in Kraft treten, die sicherstellen sollen, dass Einsteiger die Pipelines etablierter Wettbewerber zu fairen Preisen und ohne Behinderung nutzen dürfen. Vielleicht können dann erstmals private Gaskunden zwischen mehreren Anbietern wählen. Doch daran glauben nicht alle. Jörg Spicker, Deutschlandpräsident der europäischen Vereinigung freier Gashändler (Efet) sagte jüngst der Financial Times Deutschland: "In unserer Branche gibt es eine gängige Redewendung: In zwei Jahren wird der Markt geöffnet. Das haben wir schon im Jahr 2000 gesagt - das gilt auch noch jetzt."

Johannes Eber

 
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