suedkurier.de - 14.02.2006
Gasmarkt gerät in Bewegung

Gasmarkt gerät in Bewegung

Bonn (dpa) - Nach heftiger Gegenwehr der Verbraucher wegen rasant steigender Gaspreise und Druck der Wettbewerbsbehörden öffnen führende deutsche Versorger ihre Netze für wechselwillige Kunden.

Der Gasmarkt gerät auch für Privatkunden in Bewegung.

Bild: dpa
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Vom 1. April an sollen Privathaushalte ihren Lieferanten frei wählen können, teilte das Bundeskartellamt in Bonn mit. Verbraucherschützer und Energieexperten äußerten sich skeptisch, dass dies zu mehr Wettbewerb und sinkenden Gaspreisen führen werde.

Neben Branchenführer E.ON mit allen Töchtern, darunter E.ON Thüringer Energie und E.ON Avacon, verpflichteten sich auch RWE Westfalen-Weser-Ems, Mitgas, Spreegas, ENTEGA und ein Eigenbetrieb der Thüga beim Bundeskartellamt zur Marktöffnung. Im Gegenzug stellte die Behörde laufende Missbrauchsverfahren gegen die sieben Unternehmen wegen des Verdachts überhöhter Endkundenpreise ein.

Die Verfahren waren vom Kartellamt nach drastischen Preisanhebungen seit Herbst 2005 eingeleitet worden. Zudem laufen auch bei Landeskartellbehörden mehr als 80 Verfahren gegen regionale Gasversorgungsunternehmen. Bei den Überprüfungen wurden laut Kartellamt Preisdifferenzen von mehr als 40 Prozent festgestellt.

Kartellamtspräsident Ulf Böge sagte, der künftig mögliche Wechsel des Gaslieferanten sollte sich «letztlich auch in einem niedrigeren Preis niederschlagen». Die Lösung sei aber noch «kein Anlass zur Euphorie». Er begründete die Einstellung der Preis-Verfahren damit, dass wirksame Wechselmöglichkeiten den Wettbewerb insgesamt belebten. Sie seien damit der Missbrauchsaufsicht, die sich immer auf einen konkreten Rechtsverstoß beziehen müsse, überlegen. Alternative Gasversorger müssten aber auch noch einen freien Zugang zum Netz erhalten.

Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) erklärte, die Neuregelung sei kein Ersatz für Durchleitungswettbewerb, sondern nur eine Übergangslösung. «Sie bietet bis zu einem funktionierenden Netzzugangsmodell die Möglichkeit, dass neue Gasanbieter auf dem Endkundenmarkt in den Versorgungsgebieten der betroffenen Gasversorgungsunternehmen bereits heute aktiv werden können.»

Ob es zum 1. April bereits alternative Anbieter - wie etwa in der Strom- oder Telekom-Branche - geben wird, ist noch unklar. Für den niederländischen Konzern Nuon etwa, der vor wenigen Wochen als erster ausländischer Wettbewerber seit Jahren einen Vorstoß auf dem deutschen Strommarkt gewagt hatte, kommt ein ähnliches Angebot für Gaskunden derzeit nicht in Frage. «Für einen Markteintritt bei Gas ist es noch viel zu früh», sagte Nuon Deutschland-Chef Thomas Mecke dem «Handelsblatt» (Mittwochausgabe). Dieser Bereich sei nicht mit dem Strommarkt vergleichbar und hake noch an vielen Stellen.

Der Präsident des Bundesverbands der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW), Michael Feist, versicherte, die Gasnetzbetreiber arbeiteten daran, Privat- und Kleingewerbekunden «noch in diesem Jahr» die Auswahl unter mehreren Angeboten zu ermöglichen.

Geplant sei als Zwischenschritt, das Gas vom bisherigen Versorger geliefert werde, der Kunde jedoch schon einen neuen Anbieter als Vertragspartner habe. Eine freie Wahl des Versorgers sei jedoch nicht automatisch eine Garantie für fallende Preise. «Wir gehen in Europa in eine Phase einer engeren Versorgungssituation als in der Vergangenheit.»

Nach Einschätzung der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) ist solch ein «Beistellungsverfahren» sei für den Endverbraucher «nicht attraktiv». Der vzbv-Energieexperte Holger Krawinkel sagte zu der Neuregelung: «Mit Wettbewerb hat das nicht viel zu tun.» Auch bei der von Oktober an vorgesehenen so genannten diskriminierungsfreien Durchleitung von Gas alternativer Anbieter gebe es für Wettbewerber noch einige Hürden.

Der Bund der Energieverbraucher sieht in der Entwicklung einen Etappensieg. «Die Öffnung finden wir natürlich gut, aber sie ist eine Zangengeburt», sagte der Vorsitzende Aribert Peters. «Man kann die Öffnung noch nicht richtig bewerten, weil noch nicht klar ist, zu welchen Bedingungen freie Anbieter künftig agieren können. Davon hängt ab, ob private Verbraucher überhaupt eine Wahlmöglichkeit haben werden.»

Die Entwicklung der derzeit um 20 Prozent überhöhten Gaspreise für private Haushalte bleibe unklar, sagte Peters. «Wir wissen noch nicht, mit welchen Preisen alternative Anbieter auftreten werden.» Der schnellere Weg zum finanziellen Erfolg bleibe für private Kunden ein Zahlungsboykott. Bundesweit wehren sich bereits etliche tausend Verbraucher gegen aus ihrer Sicht überhöhte Gaspreise. Zahlreiche Verfahren sind vor Gerichten anhängig. Bisher ist der Gasmarkt durch Monopolangebote, feste Netzzugänge und eine weitgehend wenig transparente Preisgestaltung bestimmt.

Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht in der neuen Wahlmöglichkeit für Endkunden «noch nicht allzu viel Wettbewerb». DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert sagte, zum einen gebe es immer noch lange Lieferverträge zwischen Anbieter- und Verteilerunternehmen. Außerdem sei der Gaspreis weiterhin an den Ölpreis gekoppelt. Solange dies so bleibe, «wird man kein großes Preisgefälle haben».

 
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